Können Zivilprozesskosten als außergewöhnliche Belastung abgesetzt werden?
Viele Steuerpflichtige fragen sich, ob sie die Kosten eines Zivilprozesses steuerlich als außergewöhnliche Belastung geltend machen können. Im Mittelpunkt steht dabei die Frage, wie der Begriff der „Existenzgrundlage“ im Sinne des Einkommensteuergesetzes (§ 33 Abs. 2 Satz 4 EStG) zu verstehen ist.
Gesetzliche Grundlagen: Was sagt das Einkommensteuergesetz?
Nach § 33 Abs. 1 EStG können außergewöhnliche Belastungen die Einkommensteuer mindern, wenn einem Steuerpflichtigen zwangsläufig höhere Aufwendungen entstehen als der Mehrzahl vergleichbarer Personen. Diese Ausgaben müssen die zumutbare Eigenbelastung übersteigen.
Gemäß § 33 Abs. 2 EStG sind Aufwendungen zwangsläufig, wenn sie sich aus rechtlichen, tatsächlichen oder sittlichen Gründen nicht vermeiden lassen und notwendig sowie angemessen sind. Allerdings schließt § 33 Abs. 2 Satz 4 EStG Prozesskosten grundsätzlich vom Abzug aus—es sei denn, ohne diese Kosten würde der Steuerpflichtige seine Existenzgrundlage verlieren und seine lebensnotwendigen Bedürfnisse im üblichen Rahmen nicht mehr befriedigen können.
Die Interpretation des Bundesfinanzhofs (BFH)
Der BFH hat in einem Urteil vom 18.05.2017 (VI R 9/16) klargestellt, dass mit „Existenzgrundlage“ die materielle Lebensgrundlage gemeint ist. Obwohl der Begriff auch immateriell verstanden werden könnte, legt der Wortlaut des Gesetzes nahe, dass es um messbare wirtschaftliche Verhältnisse geht.
Ein praktischer Fall: Rückabwicklung eines Übergabevertrags
Ein Steuerpflichtiger übernahm unentgeltlich einen Forstbetrieb und drei Einfamilienhäuser gegen Altenteilleistungen. Später verlangte die Übergeberin, vertreten durch ihren Sohn als Betreuer, die Rückübertragung mit der Begründung, sie sei bei Vertragsabschluss geschäftsunfähig gewesen.
Der Steuerpflichtige musste sich in zwei Prozessen gegen diese Forderungen verteidigen. Im Vergleich einigte man sich darauf, dass er die Einfamilienhäuser zurücküberträgt, den Forstbetrieb aber behält.
Entscheidung des Niedersächsischen Finanzgerichts
Das Niedersächsische FG erkannte in seinem Urteil vom 15.05.2024 (9 K 28/23) die Prozesskosten als außergewöhnliche Belastung an. Es argumentierte, dass die materielle Existenzgrundlage des Steuerpflichtigen gefährdet war, da er den Verlust von über 85 % seines ertragbringenden Vermögens befürchten musste.
Revision beim BFH eingereicht
Gegen dieses Urteil wurde Revision beim BFH eingelegt (Az. VI R 22/24). Die endgültige Entscheidung steht also noch aus.
Was bedeutet das für Steuerpflichtige?
Ob Zivilprozesskosten als außergewöhnliche Belastung absetzbar sind, hängt entscheidend davon ab, ob ohne die Prozessführung die materielle Existenz bedroht wäre. Die genaue Auslegung von „Existenzgrundlage“ und „lebensnotwendigen Bedürfnissen“ ist dabei noch nicht abschließend geklärt. Betroffene sollten daher aktuelle Urteile verfolgen und sich individuell beraten lassen.